AUSEINANDER.GEKOMMEN - SIE HABEN MEIN WORT
Installation 2014
"Zu empfindsam: Depression, zu schmerzresisitent: Borderline, zu lebendig: ADHS,..." die zunehmende Psychopathologisierung menschlicher Eigenschaften und Verhaltensweisen als Werkzeug zur Etablierung und Stabilisierung einer gesellschaftlichen Ordnung, die sich über die Intergrierbarkeit aller Menschen in kapitalistische Wertschöpfungsprozesse definiert, steht im Fokus der filigranen Installation auseinander.gekommen - sie haben mein wort.
Die "Auseinandergekommenen" - hochsensitive Menschen, die mit ihren unangenehmen Wahrnehmungen und Fragen die Brüche unserer vermeintlich bruchlosen Verwertungsgesellschaft sichtbar machen, konfrontieren uns mit den Rändern dieser Welt. Sie sind Naht und Narbe, verdecken und machen sichtbar. Als "Symptom" verkörpern sie den symbolischen Riss, offenbaren Fiktion und Täuschung, auf deren Basis sich das Subjekt beim Eintritt in die symbolische Ordnung konstituiert.
Mittels stigmatisierender Diagnosen versucht man sich ihrer zu bemächtigen indem man so fehlendes Anpassungsvermögen jenseits gesellschaftlicher Ursachen im für "krank, abnorm, anders" erklärten Individuum selbst verortet: Ausschluss im Einschluss. Nicht selten prägen jene Eigenschaften, die hier zur Diagnostizierung herangezogen werden das klassische Anforderungsprofil eines erfolgreichen Managers.
© barbara huber
MITSPIELEN
Video / Rauminstallation 2013
Zwölf durchscheinend luzide Kinderschaukeln, auf den ersten Blick Sinnbild für ungebremste Leichtigkeit, Lebendigkeit, kindliche Selbstvergessenheit... erst im nächsten Augenblick offenbart sich ihre Bewegungslosigkeit, erstarrt in ihrem Schweben, eingefroren in einem erstickenden Atemanhalten. Was zunächst an innere Unbeschwertheit denken lässt, entpuppt sich als disziplinierendes Grundprinzip identitätsstiftender Mechanismen: wer mitspielen will muss SICH verhalten, SICH verlassen, SICH aus-setzen, SICH fallen lassen… Was vermeintlich schaukelt, sind Begriffe, die unseren Alltag charakterisieren - Notwendigkeit und Normalität - letztlich aber entlarven diese das Funktionieren unserer sogenannten Hochkultur: im zwanghaften Bestreben, sich jeder Lebendigkeit zu bemächtigen, jede Unvorhersehbarkeit zu eliminieren definiert sich gesellschaftliche Zuge-hörig-keit über einen radikalen Prozess der inneren Entfremdung, der uns im Außen suchen lässt, was wir im Innen verloren haben.
© barbara huber
DISSOZIIERTE VERINNERUNG
Installation 2011
Erinnerung
Geschichtetes
Verzweifelt gefüllte Leerstellen
Wie Fragmente aus historisch belegtem Wissen, erzählten Erzählungen und schmerzlich Erlebtem zu jenen kontingenten Grundlagen werden, die sich durchkreuzen, gegenseitig auslöschen und neuformieren, um sich, den normativen Anforderungen der Erinnerungsgemeinschaften entsprechend, als Geschichte zu verfestigen, ist das Thema der Installation DISSOZIIERTE VERINNERUNG.
Dissoziation meint dabei jene Strategie vermeintlicher Identitätssicherung, die uns sowohl auf individueller wie auf kollektiver Ebene jene Erfahrungen - und das dazugehörige Wissen - abspalten lässt, die so schrecklich, so schmerzlich sind, dass wir meinen, sie nicht ertragen zu können. Jedes Erzählen wird so zum Verdecken, jeder Erklärungsversuch legt sich als verharmlosende Schicht über das, was zu offenbaren man versprach.
Zu gerne würde man hinter Lorbeeren bewahren und schützend verbergen, was so wund macht, trägt man erst die Schichten ab.
Nur die Ohren öffnen sich dem Nichtgesagten, dem Schweigen in der Rede, denn Ohren haben keine Lider.
Was an die Oberfläche treibt, verrät Geschichtetes, kollektiv verfertigt, das sich nur aneignen lässt nach Maßgabe dessen, was die schmerzlichen Lücken füllt und in Täter – Opfer – Verkehrung die moralische Integrität derer sichert, aus deren Fleisch und Blut man sich weiß und ertragen muss. Die entkommen sind, „wie durch ein Wunder“ meist.
Totgeschwiegen und verzweifelt ausgeblendet manifestieren sie sich dennoch im Alltäglichen, schreiben sich ein mit glühenden Griffeln in Körper und Bewusstsein und fordern ihren Tribut.
Im innigen Bewahren der Familiengeheimnisse vervollkommnen sich Zugehörigkeiten bis in den Tod.
Verinnert.
© barbara huber
verlorener übergang. charon desertierte
installation in einem ehemaligen schutzraum im steinbruch von gavorrano / italien 2005
charon
mittler in einer welt der zwischenräume
nicht verortung der grenze sondern heterotopie
temporärer dritter raum
differenzen ohne vereinheitlichung zum oszillieren gebracht
die gewässer auf denen er sich bewegt
keine schroffen grenzlinien zwischen diesseits und jenseits
räume des übergangs
des dazwischen
das andere, das zwei teile der selben welt in beziehung setzt
‚kontinua der verwandlung’ (w.benjamin)
charon desertierte
normierte gegenwart in rasendem stillstand
sedimentiertes leben
nur die meere fließen weiter unten
© barbara huber
metastase einer grundformel 2005
ein Videoinstallation von Barbara Huber
…das erbarmungslose Schlagen eines geschwungenen Seils gibt den Rhythmus vor, in dem sich eine erwachsene Frau entschlossen springend bewegt –
sie springt, springt, springt bis zur Erschöpfung, zum Zusammenbruch.
Das Seil dreht sich weiter. Ein Ausstieg gelingt bestenfalls in das nächst größere Seil,
wer nicht mehr springt, bleibt am Boden liegend zurück,
die beiden Drehenden eröffnen das nächste Spiel…
Auf der Basis dieses – vordergründig harmlosen, jedem vertrauten – Kinderspiels
thematisiert das Video metastase einer grundformel das Funktionieren unserer Präsenz-sichernden Systeme.
In einer Wirklichkeit, in der sich gesellschaftliche Teilhabe und Zugehörigkeit bzw. Sichtbarkeit ausschließlich über wirtschaftliche Verwertbarkeit
und monetäre Integrität definieren, scheint potentiell alles reversibel und auf nichts zu verweisen außer auf sich selbst in diesem Augenblick.
Unter dem Tenor von Reizwörtern wie Flexibilität und Selbstbestimmung, Deregulierung und Entsubstanzialisierung, Fragmentarisierung und Wettbewerbsfähigkeit
scheint sich die unmittelbar erfahrbare Realität zugunsten einer Unzahl voneinander getrennter Welten aufgelöst zu haben.
Welten, die wie Spiele nach bestimmten Regeln funktionieren und beliebig betreten und verlassen werden können.
Nicht mehr Gesetze – die zu überschreiten noch Sinn machen könnte – strukturieren unsere Wirklichkeiten,
sondern Spielregeln, die wir als die unseren aufnehmen und – bis zur Selbstzerstörung -
mit jeder unserer Bewegungen modifizieren, um im Spiel um Wissen und Macht zu bleiben, unser Recht auf Existenz zu sichern.
Die Regeln eines Spiels zu hinterfragen oder gar zu übertreten, bedeutet ein neues Spiel zu konstruieren, aus einem Spiel auszusteigen,
bedeutet ein anderes aufzunehmen - ist doch auch die Verweigerung nur Teil des Spiels und längst eingeplant.
‚Il n’y a pas de hors-texte‘ (Derrida)?
Darstellende: Lissie Rettenwander, Tom Csisinko, Martin Steidl
Kamera: Barbara Huber, Elias Stabentheiner, Christian Streng
Cut: Barbara Huber
Videoprojektion (Master: DigiBeta), 35 schwarze betongefüllte Wärmflaschen
© Barbara Huber